Artikel von Nicholas Lees
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NEUE KERAMIK - September / Oktober 2017
Die Grenze des Menschseins
Während Ihrer gesamten Kariere setzte sich Daniela Polz mit der Frage, was bedeutet es ein Mensch zu sein und wie sind wir als Individuen definiert, auseinander. Seit ihrem MA-Abschluß in Cardiff, Wales, vor 20 Jahren, ist ihre Arbeit eine in Porzellan geführte Diskussion des menschlichen Seins, in der Figürliches erst seit Kurzem erscheint. Wenn in ihren letzten Arbeiten der menschliche Körper gleichzeitig auftaucht und verschwindet, deutet dies auf eine Intensität in ihrem Denken hin, die sich auch mit politischen Aspekten der Menschlichkeit auseinandersetzt.
Ihre jüngsten Stücke, aus der Serie ‚Frames‘, zeigen eine neue Ebene der Reife und Verfeinerung, sind der Höhepunkt eines langen Weges der Recherche und ohne Frage ein aufregender Schritt hin zu weiteren neuen Skulpturen.
Einem Stück möchte ich besondere Aufmerksamkeit schenken; ‚Frame 7’, es ist mein persönlicher Favorit der neuen Serie. Was wir sehen ist ein Rahmen aus Aluminium, in dessen einer oberen Ecke Stapel von feinen Porzellanplättchen möglicherweise an den herumfliegenden Inhalt eines dysfunktionalen Bürokratenschrankes erinnern könnten. In der unteren Ecke eine anonyme Figur, kniend oder auch zusammengebrochen, gestaltet aus den gleichen, wie Papier anmutenden, Porzellanplättchen. Die Figur ist hohl - bestehend aus einer Hülle aus mit Porzellanschlicker getränktem Stoff an dem ebendiese Porzellanplättchen haften. Kein Kopf, keine Hände oder Füsse, auch kein Skelett oder andere Hinweise auf eine menschliche, fleischliche Existenz. Die Haltung deutet auf Beten, Flehen, Unterwerfung oder gar einen physischen Zusammenbruch hin. Was immer es ist, auf keinen Fall ist es Ausdruck von physischer Stärke oder innerer Lebendigkeit. Das gesamte Arrangement wirkt nahezu gefährlich zerbrechlich, durchscheinend und vergänglich - Halt scheint nur der dominierende Rahmen zu geben.
Wir wissen, wie wichtig der Kontext zum Verstehen eines Werkes ist. Polz gibt zu bedenken, dass heute mehr denn je eine Existenz von äußeren Zwängen abhängt. Die Künstlerin hat die Welle an Flüchtlinge und Migranten beobachtet, wie Individuen Ihrer Individualität und Entwicklungsfreiheit beraubt werden. Wie werden staatenlose Flüchtlinge und Migranten definiert? Sehen wir sie als Individuen mit ihrer eigenen Persönlichkeit oder als anonyme Wesen - reduziert auf verwaltungstechnische, politische oder soziale Probleme, sichtbar nur durch Papierstapel die ihre individuelle Existenz vielleicht möglich machen? Das Werk umfasst persönliche und umfassende politische Beobachtungen, die bei genauerer Betrachtung nicht von einander getrennt werden können.
Der Kontext ist wesentlich und in dieser Arbeit manifestiert er sich im Rahmen, dort wo das eigentliche Objekt beginnt. Der Rahmen gibt den Arbeiten ihre Definition und ihre Freiheit zu existieren. Der Rahmen dient sowohl als praktischer und als metaphorischer Kontext.
Durch das Arbeiten vom Rahmen in das Innere, kann die Künstlerin die Grenzen der Fragilität des Material sowie die metaphorische Fragilität verschieben. Sie benutzt Porzellan aus vielerlei Gründen – es kann die Weiße und Dünnheit von Papier nachbilden, am wichtigsten jedoch ist die Transluzenz.
Der Rahmen der eine Beschränkung sein könnte, ist in diesem Fall tatsächlich eine physische und optische Befreiung. Die Figur muss nicht als konstruiertes Objekt selbst stehen oder Festigkeit haben, was befreit und den ausgedrückten Ideen Macht gibt.
Schon immer herrscht in den Arbeiten von Daniela Polz eine fortwährende Spannung zwischen An- und Abwesenheit, aber hier findet sie den nuanciertesten und am meisten ausgearbeiteten Ausdruck.
Der Rahmen fokussiert uns auf die unmittelbare Umgebung der Figur, erlaubt es uns die Figur im Kontext mit den über ihr befindlichen Papierstapeln zu sehen, erlaubt überhaupt die Entstehung der Figur, unglaublich zerbrechlich, durchscheinend und rätselhaft. Die Figur ist hohl in ihrer Präsenz, anonym und gefertigt aus einer dünnen Haut mit Plättchen. Sie könnte eine Rüstung oder ein Panzer sein, ist jedoch unfassbar filigran.
Als eine Gruppe, bildet die Serie ‚Frames‘ eine faszinierende Debatte dieser Ideen und die Variation der Positionen der Figur im Rahmen, zeigt eine Reihe an Möglichkeiten für das Erleben der Existenz in der politischen und physischen Welt.
Wir müssen auch berücksichtigen, dass die Arbeiten im Kontext ihrer Kariere stehen. Arbeiten auf diesem Niveau entstehen nicht aus dem Nichts. Wie ich schon vorher erwähnte, hat Polz sich in einer großen Bandbreite an erfolgreichen Arbeiten mit der menschlichen Existenz beschäftigt. Sie war immer mehr an Metaphern interessiert, als an der physischen Darstellung. Viele Arbeiten handelten vom Menschen, ganz ohne diesen in der Arbeit sichtbar zu haben. Ein Beispiel, ein weiteres meiner Lieblingsstücke, ist das Seelenhaus von 1997. Das Stück ist aus in Porzellanschlicker getränktem Papier und Stäben. Die Arbeit hat die Form eines einfachen, offenen Gebäudes mit Stoffdach, im Inneren befinden sich Lagen von Büchern und Papier sowie eine Rose. Das Gebäude ist eine Metapher für den Menschen und sein inneres Sein. Der Gebrauch von Papier, ein im Werk von Daniela Polz immer wiederkehrendes Thema, hier zum Aufbau der Struktur eingesetzt, repräsentiert das Bewusstsein und erinnert uns daran, dass man ein Kunstwerk wie auch eine Person als Text lesen kann. Texte auf Papier sind was uns zeigt und sichtbar macht und sind was bleibt, wenn wir einmal nicht mehr sind: Es sind Spuren einer Person, der Beweis ihrer Existenz. Das Papier und die Texte sind die Spuren des Menschen, ihr Beweis, eine Idee die in der Serie ‚Frames‘ wiederkehrt. Die Rose hingegen ist vieldeutig, aber steht vielleicht eher für etwas im Inneren Verborgenes, für Leben, für Wachstum und Menschlichkeit, als für die Loslösung vom papiernen Beweis.
Zwischen dieser und den aktuellen Arbeiten liegen viele Gedanken und viel Praxis, eine ergiebige Reise. In letzter Zeit wurde der Inhalt physisch präsent, doch der metaphorische und konzeptuelle Inhalt wird dadurch nicht weniger stark.
Ein Grund für den Erfolg der Serie ‚Frames’ und insbesondere des ‚Frames 7’ ist, dass das Zentrum und der visuelle Fokus dieser Arbeit Raum ist, gar Leere. Polz bewegt sich entschieden weg von der dekorativen, figürlichen Formensprache, die in der Keramik so oft erwartet wird, hin zu einem politischem Statement. Diese Bewegung weg von der Norm des Figürlichen, macht die Stärke des Stückes aus.
Obwohl die Figur schon immer ein Thema für sie war, hat Daniela Polz lange gebraucht, bis sie diese zum Mittelpunkt ihrer Arbeit machte. Durch die Auseinandersetzung mit der Herstellung der Figuren, ihrer Dekonstruktion und dem Wegrücken gerade aus dem Zentrum heraus, hat sie ihre stärksten Ausdruck gefunden, wenn es gilt die Grenzen des Menschseins zu erkunden.
Nicholas Lees
ist ein international ausstellender und ausgezeichneter Künstler, der mit Keramik und Papier arbeitet. Er unterrichtet Keramik am Royal College of Art, an der University of the Creative Arts und der Bath Spa University. Gelegentlich ist er schriftstellerisch tätig.
Er lebt und betreibt sein Studio in Hampshire, GB.
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